25. Bericht: Rio de Janeiro bis Ubatuba (22.4.-2.5.12)

Sonntagabend ist es so weit. Nach dem Abendessen gehen wir um 21 Uhr Anker auf und nehmen Abschied vom Zuckerhut. Die Wettervorhersage ist nicht optimal, aber es soll ein wenig Nordwind kommen. Erst mal motoren wir ohne Wind los, nach einer Stunde gibt’s dann einen schwachen Nordwind und wir setzten Segel. Doch auch mit Motor und Segeln kommen wir nur langsam voran und sehen noch stundenlang die Lichter von Rios beleuchteter Küste. Am Cabo Guaratiba machen wir nur noch 1,7 Knoten Fahrt über Grund, da haben wir fast 2 Knoten Strömung gegenan, au weh! Wir werden immer langsamer. Außerdem ist unser Unterwasserschiff so bewachsen wie nie. Man hatte uns schon gewarnt vor dem dreckigen Wasser von Rio. Nach nur zwei Wochen hatten wir eine 1-1,5  cm dicke weißbraune Kruste auf dem Rumpf.

Unsere Ankunft auf der Ilha Grande hatten wir (spätestens!) zum Sonnenuntergang gedacht, aber nun ist es dunkel als wir endlich vor Abraão den Anker werfen. Im Gegenlicht der Ortsbeleuchtung suchen wir uns einen freien Ankerplatz im sicheren Abstand von den anderen nur schemenhaft erkennbaren Ankerliegern. Um halb Acht liegen wir endlich vor Anker; Puuhh – wir haben für die 60 sm nicht 12 oder 14 Stunden, sondern 22 Std. gebraucht! Das ist unser geringstes Etmal (sm pro 24 Stunden) der gesamten Reise.

Nach 10 Stunden Schlaf beginnen wir am nächsten Morgen unser Tagwerk. Unterwasserschiff reinigen ist das Wichtigste, das hatten wir für diesen Aufenthalt im sauberen Wasser der Ilha Grande schon geplant. Zunächst baut Jens Werkzeuge zum Abkratzen des Bewuchses vom Rumpf: Selbstgemachte, breite Holzschaber, einer  wird an den Bootshaken geschraubt und mit ihm beginne ich vom Dinghi aus den Rumpf frei zu kratzen, soweit ich komme.

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Jens kratzt dann tauchend die tiefer liegenden Rumpfpartien ab. Eine ziemlich sportliche Angelegenheit! Der helle Muschelkalkbewuchs geht leichter ab als befürchtet. Die zentimeterdicke Schicht löst sich in staubartigen Wolken auf, so dass Jens kaum etwas sieht, wenn ich oben kratze, soviel kommt da runter.

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Also arbeiten wir an unterschiedlichen Seiten. Als Jens nach einer Dreiviertelstunde Tauchen durchgefroren wieder an Deck kommt, krabbeln zig winzige krabbenartige Tierchen auf seiner Haut (Krakas, wie wir später erfahren). Schnell unter die Decksdusche und nen heißen Tee. Auf diese Weise reinigen wir am ersten Tag eine und am nächsten Tag die zweite Seite des Rumpfes. Kein Wunder, dass wir bei dieser rauen Rumpfoberfläche kaum Fahrt gemacht haben.

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Zwischendurch bekommen wir Besuch. In der Ankerbucht treffen wir zahlreiche alte Bekannte wieder. Die SY Runaway (Schweden), SY Orca (Deutsch-Schwedisch), SY Marty Mc Fly(Schweiz) und SY Aldo (Spanien-Neuseeland) sind bereits da und unsere Freunde von der SY Santana (Holland) kommen am zweiten Tag an. Udo und Ann von der Orca haben wir am längsten nicht gesehen, sie reisten nach Jens Geburtstagsfeier in Guarapari als erste ab, denn sie wollten möglichst schnell her zur Ilha Grande, da sie hier mit Besuch aus der Heimat verabredet waren. Brigitta von der Runaway kommt zur Begrüßung aus der hintersten Ecke der Ankerbucht zu uns herüber gerudert. Schön sie alle hier wieder zu treffen, denn dies ist nun die letzte gemeinsame Station unserer Reise. Das Region um die Ilha Grande mit 365 Inseln ist ein Ferienparadies und ein beliebtes Revier für viele Segler. Die anderen haben hier Monate eingeplant.

Bei unserem Wiedersehen gibt’s gleich eine Menge News und ein nützlichen Tipp, wo wir gutes, von den anderen bereits getestetes Quellwasser bekommen. Das freut uns ganz besonders und wir rudern gleich zwei Mal mit dem Dinghi und allen Kanistern zur Quelle und holen 80 Liter leckeres Trinkwasser.

An der Quelle lernen wir Victor aus Argentinien kennen, einen Segler, der mit seinem kleinen Boot (21 Fuß) vor einigen Jahren aus Buenos Aires hierher segelte (immerhin 1200 sm Atlantik)). Wir tauschen uns aus und Victor bietet an, abends gemeinsam im „Biergarten“ essen zu gehen; wir stimmen zu, denn von ihm könnten wir vielleicht nützliche Informationen bekommen, denn wir haben schließlich noch keine Vorstellung, wo wir Chiloë in Buenos Aires lassen. Nach einer Stunde Internetcafe treffen wir mit Victor zusammen.  

Auch wenn der Name uns misstrauisch machte, der „Biergarten“ erweist sich als ein hervorragendes Kilo-Restaurant. Wir essen lecker und fragen Victor über Liegeplätze in Buenos Aires aus, er empfiehlt uns seinen kleinen Yachtclub in Tigre. Außerdem wollen wir über seine Erfahrungen der uns noch bevorstehenden Strecke nach Argentinien hören. Denn immerhin haben wir noch rund 1200 sm und Herbststürme vor uns. Die größte Etappe von Brasilien nach Uruguay (550sm), die wir nur nonstop fahren können, macht uns schon besondere Sorgen. Victor antwortet schließlich auf unsere Fragen mit zwei sehr kurzen Gegenfragen: habt ihr einen guten Motor? Habt ihr Geld, um Diesel kaufen zu können? Dann ist es kein Problem von hier nach Buenos Aires zu kommen! Eine Auskunft, die uns zumindest eine gewisse Sicherheit vermittelt.

Nach zwei Tagen drehen wir am Donnerstagmorgen (26.4.), eine Abschiedsrunde vorbei an den befreundeten Ankerliegern. Die Santana und die Orca reisen auch weiter nach Süden, sie wollen im Juli nach Buenos Aires kommen und so werden wir sie voraussichtlich dort Wiedersehen. Parati ist unser nächstes Ziel, ein besonders schönes  historisches Städtchen mit Weltkulturerbe-Status. Wir brauchen eine Tankstelle und dazu wählen wir dieses zugleich auch attraktive Ziel aus. Nach 9 Stunden (nur 1 Stunde davon ohne Motor) kommen wir gerade noch rechtzeitig vor Sonnenuntergang an der Tankstelle in Parati an. Kurz danach bekommen wir bei unserer Suche nach einem Ankerplatz nochmal richtig Wind. Bei Schauerböen mit 6 Bft. aus Südwest ankern wir bald an einem Platz, der uns die beste Landabdeckung gibt. Der Südwestwind kommt wie so oft ein wenig früher als vorhergesagt, aber wir haben das Wetterfenster (vor dem SW) ja gut genutzt und sind gerade rechtzeitig angekommen.

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Am nächsten Tag (27.4.) erkunden wir Parati. Dinghi aufblasen und an Land paddeln. Doch wo sind wir da gelandet? – an einer Marina (Pier 46), die 100 Real !! (ca. 50 € ) fürs ‚parken‘ des Dinghis haben will. Ein schlechter Witz, also nichts wie weg hier. Am Privatgrundstück nebenan erlaubt uns ein freundlicher Gärtner, unser Dinghi auf die Wiese zu legen (kostenlos), kein Thema, so geht’s auch. Per Mitfahrgelegenheit kommen wir schnell ins Zentrum.

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Unser Stadtbummel beginnt bei Regen, doch später ist´s trocken und die Sonne lässt sich sogar mal blicken. Wir genießen noch einmal (bald ist das vorbei) die leckeren frischen Säfte Brasiliens – Acai, hatten wir noch nicht – das sind ´ne Art Blaubeeren wie wir rausfinden, sehr lecker.  

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Die Saison ist vorbei, es spazieren nur wenig Menschen durch die kleinen mit uralten unregelmäßigen  Kopfsteinen gepflasterten Gassen des malerischen Kolonialstädtchens. Mit Ouro Preto (in Minais Gerais) zählt es zu den wenigen gut erhalten Orten historischer Architektur. Die einstöckigen Häuser mit ihren bunten Fenster- und Türrahmen erinnern uns ein bisschen an dänische Ortschaften, nur dass hier statt Stockrosen andere Pflanzen aus den Steinfugen wachsen.

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Auf Grund seiner geschützten Lage, wurde Parati im 17. Jahrhundert zu einem der zwei Endpunkte der Estrada Real, einem alten Handelsweg, auf dem das Gold von Minas Gerais zum Verschiffen ans Meer transportiert wurde. Schön, dass wir nun auch diesen Orte der historischen Route kennen. Bei Einbruch der Dunkelheit sind wir (wie meistens) mit zwei Rücksäcken voller Lebensmittel zurück an Bord.

Am nächsten Morgen (28.4.) stehen wir um 7 Uhr auf, denn wir wollen früh los. Für den Abend ist Nordwind angekündigt und so nutzen wir den Tag, um uns noch ein paar romantisch beschriebene  Plätze in den benachbarten Buchten anzusehen. Um 11 Uhr haben wir einen ersten Ankerplatz vor der Ilha Coti erreicht – wow, ja das ist wirklich traumhaft schön. Stilles Wasser, ein paar runde Felsen und Küstenregenwald bis ans Wasser, eine kleine Lichtung zum Anlanden. 

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Gerade mal 10 Minuten haben wir die Einsamkeit genossen, da kommt ein Motorbötchen angefahren und bietet uns Langusten an. Wir lehnen ab, er fährt zum winzigen Strand und wartet. Worauf nur? Nach weiteren 10 Minuten rudern wir trotzdem an Land, mal schauen, was es zu sehen gibt. Nicht viel! Auf einem Pfad queren wir die Insel in 2 Minuten, um festzustellen, dass unsere Seite die attraktivere ist.

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Wir kehren um, doch da ist´s schon vorbei mit Romantik und Einsamkeit. Inzwischen liegen um Chiloë herum 6 Motoryachten und ein Segelboot. Drei große Motoryachten liegen im Päckchen und treffen sich hier, mit Jetski und Wasserski ausgerüstet, zum geselligen Wochenendvergnügen wie die Brasilianer es lieben, fröhlich, laut und dicht beieinander.

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Für uns heißt das: Anker auf und weiter, unsere deutsche Romantik sieht anders aus. Also fahren wir in die nächste Bucht, die Saco do Mamanguá. Fjordartige Verzweigungen und Berge – eine schöne Landschaft. Wir suchen uns einen ruhigen Ankerplatz mit Sonne und rudern noch einmal an den kleinen Strand, bevor wir uns um 17 Uhr dann endgültig Richtung Ilha Bella aufmachen; mal wieder unter Motor.

Der angekündigte Nordost Wind setzt gegen 22 Uhr ein und endlich können wir den Motor ausmachen. Kaum eine halbe Stunde später fällt das Barometer so stark, dass es laut piept und damit eine Sturmwarnung signalisiert. Gerade segeln wir mit wunderbaren 5-6 Bft. vor dem Wind, aber die Wetterlage lässt befürchten, dass die nächste Kaltfront schneller kommt als angesagt und vor allem als uns lieb ist. Wir ändern den Kurs auf den nächstmöglichen Hafen, das ist Ubatuba. Jens weckt mich um 23 Uhr zu meiner Wache, bleibt aber wach, es sind nur noch 16 sm bis dahin. Doch schon dreht der Wind auf West und flaut noch etwas ab. Wir müssen kreuzen und es dauert länger als gedacht. Der Wind flaut weiter ab und wir motoren wieder. Doch dann, knapp 2 Meilen vor dem Ziel, kriegen wir die erste fette Schauerböe mit 8 Bft. und heftigem Regen auf die Mütze. Gegen eine kurze, steile See, die sich sehr schnell aufgebaut hat, kämpfen wir uns langsam in die Bucht hinein. In vollem Ölzeug mit Südwester, Gischt und Regen mitten ins Gesicht, steuern wir von Hand, um den Bug im Wind zu halten („waren wir heute Morgen wirklich noch in einer paradiesisch ruhigen, sonnigen Ankerbucht…??‘). Um 4.00 Uhr lassen wir endlich vor dem Strand von Ubatuba unseren Anker fallen. Puh – geschafft! Jetzt ist der Wind wieder weg, aber es regnet noch. Raus aus dem Ölzeug und rein in den Salon. Diesmal waren wir etwas zu spät dran für das Wetterfenster (hätten uns den letzten Strand sparen sollen). Aber, wie schon öfter, kam die Front mit dem SW Wind früher als der Wetterbericht angekündigt hatte (diesmal ganze 12 Std.!). Darauf mixen wir uns noch einen Mojito als Absacker, bevor wir um halb fünf müde in die Koje fallen.


Ausgeschlafen gibt’s ein sonntäglichen Brunch am 29.4.und ne Kurzmeldung an die Familie. Ohne Lust auf Stadt (Ubatuba), gehen wir nachmittags gleich wieder Anker auf und fahren nochmal 9 sm weiter zur Ilha Anchietta (auch Ilha dos Porcos genannt), eine Natur-pur-Ankerbucht in einem kleinen Nationalpark, und wir sind die einzige Yacht! Diesmal beginnt der Regen erst nachdem der Anker kurz vor Sonnenuntergang gefallen ist, doch dafür regnet es jetzt ohne Ende.

Wir verbringen den ganzen Montag (30.4.) bei Regen unter Deck mit Fotos sortieren, schreiben, Brot backen und Linsensuppe kochen. Jens geht nur kurz an Deck um eine kurzentschlossen improvisierte Plane zum Sammeln einiger Liter Regenwasser aufzuspannen. Tagsüber mit dicken Wollsocken und Leggins unter Deck! – das hatten wir schon seit den Kanaren (November) nicht mehr und deshalb frieren wir auch trotz allem schon bei 21,4 Grad. Nachts hört der Regen nach 30 Stunden endlich auf.

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Am nächsten Morgen paddeln wir an Land. Wir brauchen etwas Auslauf und die unbewohnte Insel, ein Naturschutzgebiet, reizt uns. Außerdem wollen wir sehen, ob wir auf die andere Seite der Insel kommen, um nach Süden auf´s Meer nach Wind und Wellen zu schauen. Denn wir liegen geschützt hinterm Berg in einer hufeisenförmigen, nach Norden offenen Bucht. Wir laufen fast den ganzen Strand entlang, bevor wir einen markierten Pfad durch den Regenwald finden. Ohne ihn ist nirgends ein Durchkommen.

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Länger als gedacht führt uns der Trail quer über die Insel zu einer kleinen Bucht, der Praia do Sol. Unerwartet stoßen wir hier auf ein paar Fischer, die ebenfalls an diesem Tag an Land bleiben und arbeiten.

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Sie laden uns zu einem Cafe ein und Jens versucht mit unserer Mischung aus ein paar Worten Portugiesisch und Spanisch ein Gespräch übers Wetter und über Fische. Für nur 5 Real, die wir gerade noch in unserer Tasche finden bekommen wir tatsächlich ein paar Fischfilets von ihnen. Auf dem Rückweg kommen wir am ehemaligen Gefängnis vorbei, eine große Anlage, die teilweise Ruine und Museum ist und zum anderen Teil von den Naturschutzbehörden genutzt wird.

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Was ist das ?? Unerwartet stoßen wir auf ein Rudel seltsamer Tiere. So was haben wir noch nie gesehen. Fast so groß wie Wildschweine, aber offenbar ganz zahm – die einzigen wahren Inselbewohner, ach ja – daher der Inselname ´Ilha dos Porcos`.  Die Vierbeiner sind Capyvaras. Diese größte Nagetierart der Welt lebt an Land und im seichten Wasser und ist (lt. Lexikon) verwandt mit Flusspferden und Meerschweinchen.

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Nachmittags gehen wir Anker auf und fahren bei 6 Bft. WSW rüber zum Festland, in die Enseada do Flamengo, eine weitere Bucht von Ubatuba. Hier warten wir weiter auf passendes Wetter für unsere nächste größere Strecke und können die dafür nötigen Einkäufe machen. Wir finden sogar ein Internetcafe in Hafennähe, vor unserer nächsten Seestrecke soll noch ein Bericht ins Netz und mein Reiseprogramm Basel versendet werden. Wir arbeiten bis Nachts um 1 Uhr, um am nächsten Vormittag alles auf dem Stick parat zu haben.

Mittwoch (2.5.) Nach Einkauf und Internetcafe kommen wir am frühen Nachmittag zurück an Bord, noch immer ist SW Wind (klar, der richtige Wind kommt nicht früher, sondern später als angesagt). Als es dann wenig später auch noch zu regnen beginnt, verschieben wir unsere Abfahrt auf den nächsten Morgen. Mit Frikadellen braten und Vorkochen von Hühnergeschnetzeltem habe ich ohnedies noch etwas länger zu tun und Jens fühlt sich leicht angeschlagen (Erkältung). Also Kochen und früh ins Bett, am nächsten Morgen soll´s bei Tagesanbruch los gehen.