Am Sonntag, den 17. 7. Um 07.15 Uhr verließen wir den City Sporthafen Hamburg und segelten in trübem Grau, aber mit Südwind die Elbe hinab nach Cuxhaven. Wir sind froh jetzt endlich unterwegs zu sein, nach monatelangen Vorbereitungen (die dennoch nicht abgeschlossen sind) und einem über Wochen verteiltem Abschied nehmen, Party Hagen, Party Hamburg, immer wieder Gäste an Bord, Winken am Steg und zuletzt sogar noch singende Freunde, die uns in Schulau am Willkommenshöft einen Abgesang mit Akkordeon boten). Wir können es selbst noch kaum glauben, haben kein Gefühl für das Fernziel Südamerika und was es bedeutet ein Jahr bzw. voraussichtlich 9 Monate auf der Chiloë zu segeln und zu leben. Alle (gut 50) Stauräume und Backskisten sind voll, z.T. vollgestopft. Was haben wir nicht alles an Bord: Lebensmittel und Getränke (inkl. Bordbar und Weinkeller) für einige Wochen, Seekarten und Handbücher von der Elbe bis zum Rio de la Plata, eine Reparaturwerkstatt und Ersatzteillager, Segel ( 6 Vorsegel), 160 l Trinkwasser und 110 l Diesel, dazu 1 Atelier und 2 Mini-Büros sowie ausgesuchte Kleidung für alle Wetterlagen.
Und das braucht alles seinen Platz auf 10m Länge und 3 m Breite. Und wir wollen es nicht nur per Zufall wiederfinden. Doch unsere gut geplanten Staupläne sie müssen noch immer warten, es gibt wichtigeres und immer wieder Unvorhergesehenes zu erledigen.
Am zweiten Tag auf halber Strecke von Cuxhaven nach Helgoland kam Wasser ins Schiff (geschätzte 10-15 l / Std). Jens sieht es beim Routineblick in die Bilge und nimmt an, es kommt durch einen undichten Borddurchlass am Seeventil für das Motorkühlwasser. Also kehren wir um (ich hänge nebenbei seekrank über der Reling) und schon am zweiten Nachmittag wird Chiloë in der Cuxhavener Boots und Schiffswerft aus dem Wasser gekrant. Dabei wurden die Gurte falsch angesetzt und das Schiff kurzzeitig am Ruder angehoben, wodurch ein weiterer Schaden am Ruder entstand (im unteren Bereich war Laminat aufgeplatzt, GFK-Schaden). Der Borddurchlass war am Dienstag morgen schnell erneuert, aber die Reparatur des Folgeschadens am Ruderblatt dauerte mit Farbaufbau einen ganzen Tag länger, auch wenn die Werft es anstandslos und sauber reparierte. Leider verpassten wir dadurch aber 2 Tage herrlichen N-Wind, mit dem wir gehofft hatten angenehm und schnell nach Holland zu segeln. Am Mittwoch (21.07.) dann von Cuxhaven nach Hooksiel (nördlich von Wilhelmshaven am Jadebusen). Dort ´verstecken´ wir uns das ganze Wochenende vor dem aufkommenden Sturmtief. In der Jade hatten wir bereits mit dem Phänomen ‚Wind (5 Bft) gegen Strom‘ und den dadurch entstehendem Seegang (bis ca. 2-2,5m von achtern) Bekanntschaft gemacht. Dabei hatte bei einer etwas unfreiwilligen Halse der (haltende) Bullenstander einen Relingsfuß ausgerissen die nächste Reparatur.
Und schon wieder kam Wasser ins Schiff (oder immer noch?), trotz Werftreparatur. Die Ursache fand Jens diesmal bei einem undichten Schlauch mit Borddurchlass im Heck (dem Ablauf in einer ‚Kiste‘ für die Rettungsinsel). Durch unsere enorme Zuladung war die Wasserlinie 7 cm höher gekommen, was bedeutet, das dieser sonst immer weit über der Wasserlinie gelegene Bordauslass nun bei achterlichen See unter Wasser war. Das neue selbstverschweißende Rescuetape wurde um den Schlauch gewickelt und half prima! Natürlich war dies bei Seegang kopfüber in der Backskiste hängend zu erledigen.
Das Wochenende in Hooksiel nutzten wir um von unserer endlosen Liste ein paar Positionen abzuarbeiten; vordringlich war: Ordnung schaffen und neu verstauen, damit wir nicht immer wieder alle Dinge von A nach B und zurück nach A räumen. Außerdem war das erste Mal Ausschlafen angesagt, denn unsere Nerven waren ziemlich strapaziert, hatten wir doch seit Wochen kaum einmal mehr als 5 Stunden geschlafen. Der Sonntagsbesuch meiner Familie war uns eine schöne Unterbrechung unseres Arbeitslebens an Bord.
Montagmittags (25.7.) war der Wind soweit abgeflaut, dass wir mit der Tide (Schiebestrom) raus aus unserem Loch nach Wangerooge kamen. Wir genossen im milden Licht der Abendsonne die interessante Fahrt durchs Wangerooger Priggen-Wattfahrwasser. Abends festgemacht und am nächsten Morgen um 8 Uhr ging es weiter Richtung Borkum.
Endlich ein wunderbares Segeln, bei abflauendem achterlichen Wind kam sogar der Spinnaker zum Einsatz, als der dann nicht mehr stand, musste der Motor ran. Dann aber, nach 3 Stunden stellte dieser seinen Dienst ein. Kein Diesel mehr im Tank? Obwohl der Tank noch fast halbvoll war? Zum Glück gab es gerade passend wieder Wind zum Segeln. Doch leider etwas zu früh, kurz vor der Einfahrt nach Borkum, verließ er uns wieder. Und als uns dann der einsetzende auslaufende Tidenstrom so langsam wieder auf die Nordsee zurückschob, war nichts mehr für uns zu machen. Jens griff zum Hörer und rief über UKW Bremen Rescue um Hilfe an, die uns an die Alfried Krupp der DGzRS verwies. Dieser Seenotrettungskreuzer (lag auf Borkum, nicht in Essen) schickte uns sein Tochterboot mit dem passenden Namen ‚Glückauf‘, das uns dann locker in 2 Std (natürlich mal wieder gegen den Strom) in den Hafen von Borkum schleppte. Es war Mitternacht bis wir dann einen Anleger nahmen.
Am nächsten Morgen dann die Fehlersuche. Vermutungen zielten auf den im letzten Winter nagelneu eingebauten Dieseltank (Verunreinigung durch Späne oder Dichtungsreste?). Nachdem der einzige Mechaniker der Insel im Urlaub war und der Automechaniker aus der Werkstatt am Hafen Hilfe ablehnte, wurden wir nochmals vom Rettungskreuzer unterstützt. Es kam ein wunderbar ruhiger, freundlicher und hilfsbereiter Maschinist an Bord. Gemeinsam prüften Jens und er alle Leitungen, sie fanden nichts außer Luft und nach dem obligatorischen Entlüften, lief der Motor wieder. Der hatte wohl irgendwo Luft gezogen und so alle Filter leer gesoffen (hoffentlich!?). Damit ging auch dieser Tag und seine Tide dahin.
Meine Güte,10 Tage von Hamburg bis Borkum!!! In dem Tempo brauchen wir ja eineinhalb Jahre bis Buenos Aires. Geht denn das überhaupt nicht mal voran?
Am nächsten Morgen (28. 7.) legen wir um 06.15 Uhr ab, nachmittags 3 Std Spi und wunderbarer N – NW Wind. Die neue, wasserdichte Videokamera von GoPro kommt auf dem Vordeck zum Einsatz. Die Bugwelle aus nächster Nähe filmen (in der Hand über die Bordkante gehalten), damit beginnt Jens künstlerische Arbeit im Rahmen unseres Projektes trans art lantico.
Endlich läuft´s und so fahren wir gleich die Nacht durch bis Scheveningen (Den Haag), was ca. 150 sm (270km) sind und nach einem ersten Museumsbesuch und einer Nacht Pause, gehts weiter nach Oostende. Endlich machen wir mal ein paar Meilen gut. In Oostende liegen wir in der Mercator Marina des Royal North Sea Yacht Club, mitten in der Innenstadt. Beim Kochen an Bord schaue ich aus dem Pantryfenster, dort rauscht die Straßenbahn vorbei, das Hafenbecken ist von Straßen und Autos umzingelt, blau erleuchtet, der nahgelegene Bahnhof. Wir verbringen ein erholsames Wochenende in der Stadt. Natürlich mit diversen Arbeiten am Schiff. Montag kommt meine Schwester aus Unna mit Familie zu Besuch und bringt noch einige fehlende und zu spät gelieferte Dinge mit. Das beschert uns, bei warmem Sommerwetter sogar einen Nachmittag am Strand mit Schwimmen gehen und Eis essen!
Dienstag gehts weiter nach Frankreich. Wegen schlechter Sicht beschließen wir auf der französischen Seite des Kanals zu bleiben. Eine entgegenkommende Fähre macht deutlich: Sichtweite knapp 2 sm bei ihren 20 kn und unseren 6 kn stoppen wir 4,5 Minuten von in Sicht kommen bis quer ab. Da fahren wir nicht so gerne über den (vielbefahrenen) Kanal.
Die entgegenlaufende Tide verschlafen wir in Boulogne und mit einem frischen Baguette an Bord fahren wir weiter nach Dieppe. Die geradlinigen Kreidefelsen gegenüber von Dover geben ein spektakuläres Panorama ab. Im Hafen von Dieppe beeindruckt uns dann, wie die Schiffe fast bis zu den Mastspitzen im Hafenbecken verschwinden, von dunklen, hohen Mauern umgeben steigen wir dann bei Hochwasser um 9,50m fast wieder bis zum Straßenniveau auf – was für ein Tidenhub. Günstiger Südwind, wenn auch mit Regen, schiebt uns am nächsten Tag nach Fécamp, wo wir erstmals endlich einen wunderbaren Sonnenuntergang am Strand und einen Pastis auf einer Hotelterrasse am Meer genießen.
Mittlerweile haben wir auch gelernt, mit den Tiden zu planen und so gehts am übernächsten Morgen bereits um 04.35 Uhr aus dem Hafen und mit zwei mitschiebenden Tiden schaffen wir bis 22 Uhr die 90 sm bis Cherbourg. Wind kam allerdings leider erst gegen 17 Uhr auf, so dass wir nach 12 Std. motoren zumindest noch 5 Std. segeln konnten.
Hier in Cherbourg liegen wir jetzt hinter einem historisch und architektonisch beeindruckendem Schutzwall (und 5 Forts) gut geschützt in einem megagroßen Yachthafen (1550 Plätze) und warten (die Zeit nutzend) bei böigem Westwind mit Gewittern auf besseres Wetter. Als nächstes Ziel liebäugeln wir mit den Kanalinseln und freuen uns auf einen erholsamen Wandertag auf Guernsey – hoffentlich.